Freistadt mit dem ALP`s Modell betrachtet

ALP`s steht für Access Leverage Points.

Dieses Modell soll einen direkten, rasch erfahrbaren Zugang zu einer „Kultur“ ermöglichen. Es nutzt oder kreiert bewusst Stereotype. Ein Stereotyp ist normalerweise negativ konnotiert, obwohl ohne Stereotype eine rasche Orientierung in der Komplexität des Lebens kaum möglich ist. Das ALP`s Modell erlaubt eine verallgemeinernde, aber auch kreative Umdeutung von Wertigkeiten, behindert aber nicht eine tiefer gehende Reflexion. So ist ein Blick hinter die Fassade und eben eine Bewusstheit des Stereotypen, das sich häufig hinter dem Begriff Kultur verbirgt, möglich.

Im Mittelpunkt dieses Modells steht die zentrale Metapher. Dieser Metapher werden Subformen zugeordnet, welche die zentrale Metapher (das Haupt-Stereotyp) differenzierter darstellen. Leverage bedeutet Hebelwirkung. Die Leverage Points sind sozusagen Hebel, gleichzusetzen mit Entwicklungenmöglichkeiten, die in einer Kultur anhand der Metaphern und der Subformen sichtbar werden.

Freistadts Zentrale Metapher:

Die historische Altstadt

Wann immer die FreistädterInnen in einem offiziellen Rahmen über ihre Stadt reden, dann halten sie sich, ungeachtet was sich im Lauf der Zeit sonst noch getan und verändert hat, an das Bild der historischen Altstadt. Politiker und Tourismus-Fachleute nutzen dieses Bild besonders gern.

Der Hauptplatz inmitten der Altstadt wird als Parkplatz gebraucht. Autos raus aus der Innenstadt, das kann es einfach nicht geben. Da würde ja glatt die ganze Wirtschaft zusammen brechen. Die Wirtschaft steht trotz Hauptplatz als Parkplatz nicht mehr besonders gut da. Viele Geschäfte stehen leer, und seit 2010 ist Freistadt eine sogenannte Abgangsgemeinde. Das heißt, die Stadtgemeinde budgetiert defizitär. Das Land OÖ übernimmt zwar das Minus. Dafür muss aber bei der Vereinsförderung drastisch gekürzt werden. Das tut den Blasmusikern, Bürgercorps und Sportvereinen etc. weh, dass die Subventionen nicht mehr so reichlich fließen und mit dem Anschaffen einer neuen Uniform etc. eine Weile gewartet werden muss. Aber macht nichts. Dafür gibt’s auf dem Hauptplatz den Lubinger. Seine Mehlspeisen und Lebzelten und jetzt in der warmen Jahreszeit das Eis bringen Süße ins Leben. Ist doch klass, wenn man am Sonntagnachmittag schnell eine Runde mit dem Auto auf dem Hauptplatz inmitten der historischen Altstadt drehen und sich ein Eis holen kann.

Gleich neben dem Hauptplatz beim Lubinger links rein geht’s in den Schlosshof. Das „Schloss“ beherbergt das Finanzamt. Echt eine Beleidigung, dass dieses zwecks Strukturbereinigung mit den Finanzämtern Rohrbach und Urfahr Umgebung zusammen gelegt wurde. (Aber wenigstens haben wir das Bezirksgericht auf dem anderen Ende des Platzes noch ganz für uns.) Der Bergfried, so heißt der Schlossturm, ist der höchste Turm in Freistadt nach dem Kirchturm. Weiters ist „Bergfried“ der Name des ÖVP-Ortsparteiblattes.

Die historische Altstadt ist von einer Stadtmauer und diese von einem Stadtgraben umgeben. Früher, noch vor ca. 60 Jahren, als es noch kinderreiche Familien und reichlich Dienstboten gab, wohnten an die 4000 Menschen innerhalb der Stadtmauern. Jetzt nur noch ca. 900 Menschen. Die anderen (von 7500) wohnen außerhalb der Altstadt. Da gibt es die mit dem eigenen Haus und Garten, ein wenig wie eine Mini-Altstadt. Und die anderen, die in den Wohnblocks wohnen. Diese Anderen sind häufig wirklich andere, nämlich Fremde. Würden die in der Altstadt leben, wäre sie gleich wieder dicht bevölkert. Die haben nämlich alle viele Kinder. Sie würden aber nicht in die Altstadt passen. Wer in der Altstadt ein Haus besitzt, ist nämlich MitbesitzerIn der Freistädter Brauerei, die als Braukommune im Besitz der Innenstadt-HausbesitzerInnen ist. Diese Fremden gehen am Sonntag auch nicht ins Katharinenmünster und danach zum Frühschoppen auf ein Freistädter Ratsherrnbier, sondern am Freitag in die Moschee. So würde es nicht passen, wenn sie einmal im Jahr ihr ihnen als Brauerei-MitbesitzerInnen zustehendes Fassl Bier bekommen würden. Dem Bier (stellvertretend für alle weiteren Alkoholika) ist es hauptsächlich zuzuschreiben, dass diese Anderen immer fremd bleiben. Man kann sich mit ihnen nämlich nicht auf ein Bier zusammen setzen. Es gibt aber praktisch kein sich Zusammensetzen, kein Fest, keine Begegnung ohne Bier in Freistadt. Wenn das Fronleichnamsfest mit einer Agape endet, so wird auch bei dieser Bier ausgeschenkt. Das gehört zu uns, das Bier. Das ist unsere Kultur und Tradition. Diesen Wert lassen wir uns nicht anpatzen.

Subformen

  • Die historische Altstadt mit dem prächtigen Hauptplatz steht für Tradition und Wertebewusstsein und dafür, dass die Stadt in der Vergangenheit einmal reich und wichtig war.
  • Die Verkehrsbelastung nicht nur in der Innenstadt, sondern durch den Durchzugs(schwer)verkehr von Skandinavien/Baltikum bis an die Adria in anderen Teilen der Stadt bedeutet eine wesentliche Einschränkung der Wohn- und Lebensqualität in Freistadt. Diese Verkehrsbelastung steht stellvertretend für globalisierte Probleme der Gegenwart, die selbstverständlich auch vor einer idyllischen Kleinstadt nicht Halt machen.
  • Nicht erst seit der Wirtschaftskrise stehen in der Innenstadt viele Geschäfte und damit Schaufenster leer. Diese „toten Augen“ mit Leben zu erfüllen hat sich die KünstlerInnen-Gruppe „Schaufenster Freistadt“ als Aufgabe vorgenommen. Sie stellen in den leeren Schaufenstern ihre Werke aus und errichten so eine ständig offene „Galerie“. Ebenfalls in der Innenstadt gibt es die Kulturinitiative und das Programmkino „Localbühne“. Die Localbühne veranstaltet jährlich im August das international beachtete und bedeutende „Heimatfilm-Festival“. Diese beiden Initiativen mögen als Synonym für Moderne, Eigeninitiative und Kreativität gelten, die ebenfalls in einem kleinstädtischen Milieu gedeihen können.

ALP 1:  Das Bewusstsein, in einem historisch bedeutenden und architektonisch ansprechenden Umfeld zu leben, kann Selbstvertrauen und Identität der Bevölkerung stärken.

ALP 2:  Als Verlust-Punkt kann die mangelnde Bereitschaft eines großen Teils der Bevölkerung, auf individuelle Mobilität zugunsten eines stärker ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetzes zu verzichten, gelten. Scheinbar bedeutet es einen Vorteil, durch den Ausbau einer Schnellstraße schneller in den Stau im Zentralraum zu kommen. Durch eine  Schnellstraße wird das Transitverkehrsaufkommen noch stark steigen und die Attraktivität der Region für sanften Tourismus sinken.

ALP 3:  Künstlerische und kreative Initiativen auf Basis der Beteiligung vieler BürgerInnen tragen zu einer Belebung der Innenstadt bei. In der Folge kann sich ein sanfter Tourismus (Slow City) entwickeln, der der Stadt auch ökonomische Vorteile bringen kann. Jedenfalls können diese Initiativen und das dadurch geprägte Stadtbild die historischen Werte um einen gegenwartsbezogenen Wert ergänzen und die Identifizierung von Teilen der Bevölkerung mit ihrer Stadt stärken.

ALP 4:  Soziale Spannungen durch die Bildung von Parallelgesellschaften sind in Freistadt nur unterschwellig bemerkbar. Initiativen, die sich um eine Annäherung an Zugewanderte bemühen, sind vorhanden, haben aber randständige Bedeutung. Die Themen Migration, Integration und Diversität werden in Politik und Gesellschaft noch nicht als Querschnittmaterie wahrgenommen. In diesem Bereich halten sich die Probleme, aber auch Entwicklungschancen die Waage.

Dieser Beitrag wurde unter Interkulturelles abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert