Der kulturelle Rucksack

Kann es Heimaten geben? Unter diesem Titel hielt der Historiker Christoph Ulf am 9. Mai 2012 in Linz bei der  5. Landesintegrationskonferenz einen spannenden und vielschichtigen Vortrag. Ich will ihn in gekürzter Form in drei aufeinander bezogenen Teilen hier wiedergeben.

Ulf stellt sich in dem Vortrag der Frage, ob und wie es möglich ist, dass derselbe geographische Raum von Menschen als ihre Heimat betrachtet wird, die sich auf unterschiedliche Traditionen berufen, die in unterschiedlichen „Ordnungen“ sozialisiert wurden. Kann es also Heimaten im Plural geben, die gleichzeitig, nebeneinander, miteinander, einander überlappend bestehen? Ulf sagt: Das kommt drauf an. In der Folge nimmt er die Zuhörenden mit auf einen Weg zum Verständnis, worauf es dabei ankommen kann.

Das Wort Heimat lässt das Gefühl von Geborgenheit, Zugehörigkeit und Vertrautheit aufkommen und steht mit der eigenen Identität in Verbindung. Einen Faktor, durch den sich Identität ausbildet, benennt der Referent mit dem kulturellen Rucksack.

Der kulturelle Rucksack steht als symbolhaftes Bild für die tiefen Prägungen und bleibenden Eindrücke in der Kindheit, die jede Person in der Klein- und Großfamilie, im Freundes- und Verwandtenkreis erfährt. Er wird in den ersten Lebensjahren gut gefüllt mit bestimmten Verhaltensformen, Redeweisen und nicht mehr völlig ablegbaren Denkmustern und Werthaltungen. Es gibt keinen Menschen ohne ein derartiges „kulturelles“ Gepäck.

Dieses enthält auch Signale, an denen man Zugehörigkeit zum eigenen sozialen Umfeld rasch erkennen kann. Beispielsweise manche Merkmale der Kleidung oder Essensgewohnheiten, aber auch bestimmte Gesten, die Art, mit der Gefühle oder auch Respekt gegenüber jemand anderem ausgedrückt werden …

Den Rucksack kann man zwar abnehmen und auch versuchen, ihn irgendwo zu deponieren und ohne ihn weiter zu gehen, wenn er scheinbar zu schwer geworden ist. Aber das funktioniert nicht. Der Rucksack enthält vieles, was uns nährt und was wir zum Leben brauchen. Ohne ihn verlieren wir unsere Orientierung.

Allerdings ist der Inhalt des Rucksacks nicht stabil. Wir können – und machen das auch täglich – in ihn etwas Neues hinein geben, anderes entfernen.

Jedoch, auch wenn uns das nicht bewusst ist: Ein mehr oder weniger großer Teil der anfänglichen Gepäcksstücke bleibt im Rucksack zurück.

Anmerkung H. Moser: Was im eigenen kulturellen Rucksack drin ist, ist einem selbst meist eher unbekannt. Um etwas über seinen Inhalt herauszufinden, ist es sinnvoll, die eigenen Emotionen und Reaktionen zu reflektieren, wenn wir mit Fremdem/Befremdlichem/Bedrohlichem oder Unbekanntem konfrontiert sind.

Was genau irritiert mich beispielsweise, wenn ich eine Frau mit Kopftuch oder gar mit einer Ganzkörper-Verhüllung sehe? Was geht mir durch den Kopf, wenn eine Gruppe von Menschen in einer mir unbekannten Sprache spricht? Wenn jemand ein Verhalten zeigt, das mich stört? Etc.

Weitere Unterlagen zum Vortrag finden sich auf der Homepage der Integrationsstelle des Landes OÖ unter

http://www.integrationsstelle-ooe.at/xchg/SID-1D0EDAAC-8FCFCE22/hs.xsl/1577_DEU_HTML.htm

Historiker Christoph Ulf bei der  5. Landesintegrationskonferenz am 9. Mai 2012 in Linz
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